Joker – Hildur Guðnadóttir

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Musik komponiert von
Hildur Guðnadóttir
Score Produziert von
Hildur Guðnadóttir & Sam Slater
Dirigiert von
Jeff Atmajian
Arrangiert von
Þórarinn Guðnason
Orchestriert von
Jeff Atmajian, Andrew Kinney,
Philip Klein & Carl Rydlund

Als die ersten Nachrichten über einen Joker-Solo-Film von Todd Phillips und mit Joaquin Phoenix in der Titelrolle kursierten, war ich überaus skeptisch: Für mich gehörte der Joker immer automatisch zu Batman und einen Einzelfilm ohne jede Verbindung zum aktuellen DC-Film-Universum (und auch nicht als Startschuss einer neuen Reihe) zu machen kam mir dumm und letztendlich sinnlos vor. Auch die von den Medien künstlich aufgeheizte Kontroverse um die Themen und möglichen Gefahren des Films halfen nicht dabei, mir diesen schmackhaft zu machen. Nun ist „Joker“ gestartet und meiner Meinung nach waren die ganzen Ängste völlig unbegründet und überhastet: Klar, der Film ist sehr düster, mitunter auch verstörend und transportiert gewisse Themen von Anarchie und finsterer Rebellion, aber zu keinem Zeitpunkt wirkt er so, als wollte er Gewalt verherrlichen oder zur Nachahmung aufrufen. Sicher werden einige Idioten ihn falsch verstehen und die völlig verkehrten Botschaften aus ihm herauslesen, aber diese Art von Film gibt es schon lange und das ganze Theater, das von einigen Kritikern nun veranstaltet wird, sagt mir einfach, dass diese wahrscheinlich allgemein nicht viele Filme sehen, denn „Joker“ fühlt sich sehr viel vager und zielloser an, als die meisten anderen Streifen mit dieser Art von Thematik: Was ist an diesem Film so viel „schockierender“ und symbolträchtiger als Filme wie „A Clockwork Orange“, „Taxi Driver“, „Fight Club“, „Mad Circus“ oder „American Psycho“? Was bleibt, ist dennoch ein größtenteils sehr solider Thriller mit passend eingesetztem fiesem Humor hier und da, einigen Gewalt-Szenen, die durchaus in die Magengrube treffen, beeindruckender Kameraarbeit und im Zentrum steht ein nahezu unvergleichlicher Joaquin Phoenix, welcher teilweise vollständig hinter seiner kraftvollen Performance verschwindet.

Sobald Hildur Guðnadóttir als Komponistin für dieses Projekt angekündigt wurde, war ich sofort neugierig – und dabei bin ich mit ihrer Arbeit kaum vertraut. Die Isländerin trat erst vor einigen Jahren in Erscheinung, vor allem als Musikerin für verschiedene Jóhann Jóhannsson-Scores und schließlich sogar Ko-Komponistin bei „Mary Magdalene“, außerdem übernahm sie nach Jóhannssons Tod den Sequel-Score „Sicario: Day of the Soldado“. Vor kurzem erst gewann sie einen Emmy für die TV-Serie „Chernobyl“, aber nach allem, was ich bisher gehört habe, komponiert sie für gewöhnlich nicht die Art von Musik, die mir gefällt, zu sehr klingen ihre Arbeiten nach Sound Design und Krach. Also warum freute ich mich trotzdem auf ihren Score zu „Joker“? Weil ich hier die Möglichkeit für sie sah, musikalisch einen besonderen Charakter auf eine interessante und nachdrückliche Weise zu ergründen und eine zwar unkonventionelle, aber dennoch zugängliche Mentalität dabei einzubringen. Was soll ich sagen: Guðnadóttir hat genau dies vollbracht.

Soviel sei gesagt: „Joker“ ist kein leichter Score zum Anhören. Die Musik ist größtenteils genauso trostlos und herausfordernd wie der Film selbst, teilweise harscher und aggressiver, teilweise unterschwelliger. Normalerweise kann ich mit dieser Art von Score nicht besonders viel anfangen, aber nicht nur funktioniert diese Herangehensweise hier ausgezeichnet, sie passt eben auch sehr gut: „Joker“ braucht keine heroischen Märsche oder großen Action-Momente, sondern einen Score, der das ramponierte und teilweise gefolterte Innere des Hauptcharakters repräsentiert, um uns dieses nicht nur auf visueller Ebene näher zu bringen. Desweiteren vollbringt Guðnadóttir das Kunststück, dem Joker eine völlig andere musikalische Identität zu geben, welche sich nicht wirklich mit den bisherigen vergleichen lässt: Der zirkusartige Danny Elfman-Walzer passte perfekt zu Jack Nicholsons Joker im 89er „Batman“, Hans Zimmers minimalistischer Ansatz war die richtige Entscheidung für „The Dark Knight“. Was Guðnadóttir hier tut, ist zwar nicht notwendigerweise innovativ, aber dafür angemessen, sie nutzt ihr musikalisches Verständnis auf eine Art, die dem Ton des Films entspricht und der Atmosphäre des Films sehr viel hinzufügt.

Laut Guðnadóttir ging es ihr vor allem darum, die Tragik der Figur herauszuarbeiten: Es ginge um eine Person, welche der Welt Freude bringen wollte, aber von äußeren Umständen davon abgehalten wird. Das Hauptthema (genau genommen eigentlich das einzige Thema) stellt somit eine Art Klagegesang für Arthur Fleck und seine ramponierte Seele dar, und dieses schrieb die Komponistin, bevor die Dreharbeiten überhaupt begannen. Dieses hört man in „Bathroom Dance“ besonders deutlich, eine Melodie voller Trauer, Angst und unterdrückter Bedrohung, aber es liegt auch eine gewisse Empathie in der Melodie, unterstützt von sanftem, wortlosem Frauenchor. Wenn Phoenix in dieser Szene langsam tanzt, um seine erschreckende Tat kurz zuvor einerseits zu reflektieren, aber sich auch in ihr zu suhlen, so tut er dies tatsächlich zu eben diesem Stück, welches am Set gespielt wurde. Das Hauptinstrument ist eine Art elektrisches Cello, ein sogenanntes Halldorophone, welches von Hildur Guðnadóttir mitentwickelt wurde.

Das Thema steht an vorderster Front in solchen Titeln wie „Defeated Clown“, „Meeting Bruce Wayne“ und „Arthur Comes to Sophie“, hier jedoch begleitet von weiteren orchestralen Elementen: In „Defeated Clown“ werden die Streicher von langsamen, leicht hallenden und endgültig klingenden Paukenschlägen begleitet, in „Meeting Bruce Wayne“ hören wir metallische Perkussions-Instrumente, welche wie klopfende Abflussrohre klingen. Andere Tracks wie „Hoyt’s Office“, „Penny in the Hospital“, „Hiding in the Fridge“, „Learning How to Act Normal“ und „Confession“ sind unterschwelliger, teilweise unangenehm kratzend, aber stets langgezogen und atmosphärisch. „Penny Taken to the Hospital“ bietet überraschend flotte Cello-Ostinati, welche die Unterstimme zu weiteren Celli bilden, welche eine etwas schnellere und oberflächlich sorgenvolle, halbwegs eilige Melodie spielen. Die orchestralen und synthetischen Elemente fungieren dabei als die Kräfte der Außenwelt, welche Arthurs Psyche (charakterisiert durch das Halldorophone-Thema) so lange zusetzen, bis sie schließlich nachgibt und zerbricht.

Auch in „Following Sophie“ hören wir schwache Pauken und etwas bedrohlichere, tiefere Streicher, allerdings werden die Trommeln immer kräftiger, krachen irgendwann regelrecht und auch die Streicher werden grollender und finsterer. Im Film selbst fand ich, dass die Musik in dieser Szene zu dick aufträgt, aber gesondert funktioniert das Stück tatsächlich besser. „Subway“ beginnt leise und lauernd, dann werden die klackernden Percussion lauter und zu den immer kräftiger werdenden Celli mischen sich auch dröhnende Blechbläser, auch das Rohr-artige Klopfen kehrt zurück, abgelöst von bedrohlichem Dröhnen und leichtem Streicher-Quietschen. „Escape from the Train“ bringt Action in die Musik, abermals mit klackernden Trommeln, dröhnenden Bass-Streichern und elektronischen Kratz- und Dröhn-Lauten, sehr industriell und gruselig klingend, vermischt mit den wahrhaftig bedrohlichen Celli-Klängen und einigen unangenehmen Blechbläser-Elementen.

Call Me Joker“ schließlich bildet das definitive Highlight: Das Arthur/Joker-Thema wird fast in einer Art Suite-Form immer weiter aufgebaut, unterlegt von klackernden Perkussions-Elementen und erst mit etwas helleren Streichern gespielt. Das Thema erhebt sich, wird mächtiger und findet gewissermaßen Bestimmung und Bedeutung, genau wie die Figur selbst in der Szene. In der Mitte sind die elektronischen Geräusche ziemlich gruselig und die Streicher dafür umso trauriger, bevor ab 3:40 Blechbläser dazukommen und dem Streicher-Thema noch mehr Nachdruck, Tiefe und, ja, Emotion verleihen und in den Schluss-Momenten wieder das Cello übernimmt – ein beeindruckender, sehr effektiver Ausklang für Album und Thema.

Fazit:

„Joker“ ist schwer zu empfehlen: Im Film selbst entfaltet die Musik eine grandiose Wirkung, unterstützt die Szenen perfekt, gibt ihnen Tiefe und fügt zudem eine Schicht Empathie und Tragik hinzu. Als Hörerlebnis allein ist der Score jedoch taff, unfreundlich, fordernd und auf Dauer sogar deprimierend. Lasst es mich so sagen: Was die beabsichtigte Stimmung und deren Wirkung angeht, so sind Hildur Guðnadóttirs Bemühungen als voller Erfolg zu verbuchen, sie zeigt großes Verständnis für das Material und setzt Solo-Instrumente und Orchester-Anteile stets passend ein. Diese Art von Scoring ziehe ich solchem ziellosen Geschmiere wie den Grausamkeiten, welche Trent Reznor und Atticus Ross oder Jed Kurzel regelmäßig verbrechen, um Längen vor, denn die Isländerin hat tatsächlich Ahnung von angemessener musikalischer Dramatik und dem Medium Film selbst: Ihre Arbeit hier ist durchdacht, intelligent und unglaublich intensiv, einige Titel eignen sich durchaus zum isolierten Anhören. Um dem intendierten Konzept und dem emotionalen Ergebnis kein Unrecht zu tun, vergebe ich somit 4/5 Punkte, was eher die Wirkung des Scores im Film selbst bewertet als das Album allein. Es würde mich nicht wundern, wenn diese Musik eine Oscar-Nominierung einheimst und auch wenn ich in dem Bereich eher traditionell orchestralen Soundtracks den Vorzug gebe, so würde ich diese Entscheidung dennoch absolut verstehen, obgleich ein Teil von mir jetzt schon um einige Scores trauert, welche dafür auf keinerlei Beachtung stoßen werden. Interessante, kraftvolle und, ja, auch vergleichsweise unkonventionelle Arbeiten sollten nicht ignoriert werden, und „Joker“ ist so ein Fall – ein beeindruckendes Werk, welches garantiert niemanden unberührt lassen wird. Aber bitte nicht spätabends hören…

Trackliste mit Längenangabe und Anspieltipps:

  1. Hoyt’s Office – 1:24
  2. Defeated Clown – 2:39
  3. Following Sophie – 1:33
  4. Penny in the Hospital – 1:18
  5. Young Penny – 2:01
  6. Meeting Bruce Wayne – 4:35
  7. Hiding in the Fridge – 1:23
  8. A Bad Comedian – 1:28
  9. Arthur Comes to Sophie – 1:39
  10. Looking for Answers – 0:51
  11. Penny Taken to the Hospital – 1:49
  12. Subway – 3:33
  13. Bathroom Dance – 2:08
  14. Learning How to Act Normal – 1:17
  15. Confession – 1:29
  16. Escape from the Train – 2:31
  17. Call Me Joker – 4:48

 

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5 Gedanken zu “Joker – Hildur Guðnadóttir

  1. Ich hatte im Vorfeld auch Bedenken, bin mit dem Resultat im Film dann aber doch durchaus zufrieden und fand es im Film sehr wirkungsvoll – eine gelungene Hinzufügung zum musikalischen Vermächtnis des Jokers. Stilistisch erinnert mich das immer mal wieder etwas an „Requiem for a Dream“ und dann fühle ich mich doch plötzlich wieder an „The Witch“ erinnert. Definitiv eine interessante Komposition.
    Meine Rezension zum Film ist gerade in Arbeit, das wird was ziemlich langes.

    Gefällt 1 Person

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