The Lighthouse – Mark Korven

The Lighthouse (Original Motion Picture Soundtrack)

Musik komponiert, arrangiert
& Produziert von
Mark Korven
Orchestriert von
Mark Korven & Virginia Kilbertus

The Lighthouse“ ist nach „The Witch“ der zweite Langfilm von Robert Eggers und lässt Robert Pattinson und Willem Dafoe als Leuchtturmwärter auf einer kleinen Insel langsam wahnsinnig werden – und das ist schon alles, was man über „The Lighthouse“ sagen kann, ohne Zuviel zu verraten. In Schwarzweiß und 4:3 (möglicherweise schmaler) gedreht, entfaltet der Film eine unfassbar dichte, hypnotische Atmosphäre, welche den Zuschauer direkt in sich hineinzieht. Beide Darsteller werfen sich mit Haut, Haaren, Schweiß und Blut in ihre Rollen, Eggers setzt seine Vision mit genauso viel Überzeugung, Authentizität und Sicherheit um wie schon bei „The Witch“ und einige der Bilder, Szenen und Sounds werden sich garantiert für immer ins Gedächtnis der Zuschauer einbrennen. Dies ist ohne jeden Zweifel der wahre spirituelle Nachfolger von Stanley Kubricks „Shining“, eigentlich schon eine Hommage an den Klassiker aus den 70ern… und das ist absolut positiv gemeint! Es würde mich nicht wundern, wenn „The Lighthouse“ in naher Zukunft „The Shining“ als Film ablöst, welcher auf jedwedes Detail, jeden symbolischen Moment und jede inszenatorische und inhaltliche Finesse in Filmschulen analysiert und studiert wird.

Von „The Witch“ brachte Eggers Mark Korven mit, einen kanadischen Komponisten, dessen einziger wirklich signifikanter Score davor der Sci-Fi-Thriller „Cube“ war. Für „The Witch“ erdachte er einen teils unterschwelligen, teils kakophonischen Alptraum aus Streichern, Klicken, Dröhnen und unfassbar gruseligem Frauenchor. Mit „The Lighthouse“ folgt Korven diesen Stilistiken, geht hier jedoch noch um einiges brachialer vor – was sich grandios auf die Stimmung des Films auswirkt! Als reines Hörerlebnis allein ist es jedoch eine sehr viel schwierigere Erfahrung…

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Irgendwann hätte wohl jeder von diesem Eiland die Schnauze voll…

Wann immer man einen Filmscore bespricht, muss man sich zwei Fragen stellen: Funktioniert er innerhalb des Films? Und tut er noch etwas darüber hinaus? Ein Soundtrack muss schon SEHR viel falsch machen, wenn er tatsächlich nicht zum Film passt und einen auch noch aus der Seherfahrung herausreißt. Mark Korvens Score zu „The Lighthouse“ passt sich genau der Atmosphäre an, ist mal mehr im Hintergrund und spielt sich an anderen Stellen laut und deftig nach vorne. Aber funktioniert die Musik auch abseits des Films? Kann man sie sich gesondert anhören und vermag sie auch auf diese Art, angemessen zu wirken? Die Antwort ist ein zweischneidiges Schwert: Dieser Score ist ABSOLUT keine schöne Erfahrung als gesondertes Hörerlebnis – aber er vermag es auch ohne die Bilder, mich in absolute Todesangst zu versetzten!

Arrival“ stellt die Grundelemente des Scores vor: Langgezogenes, unheimliches Wabern, wie ein hölzernes Dröhnen, wozu sich sehr tiefe Bass-Streicher mit einigen langsamen Tönen mischen, was auf beinahe schon leicht augenzwinkernde Art finster klingt. Diese Bass-Streicher-Figur war auch schon im Trailer zu hören. Tatsächlich war der Trailer nicht für den Film, sondern auch den Score perfekt, denn dort kamen die Grundpfeiler der Musik bereits vor: Düstere Bass-Streicher, wabernde Geräusche und das Dröhnen des Nebelhorns, welches sich im Film selbst immer wieder in die Musik integriert.

Einige Elemente des Scores sind eindeutig traditionell-orchestral, man hört ein paar Streicher, Blechbläser und auch Gesang. Den Kern der Musik bildet jedoch eine einzigartige Konstruktion, welche auch schon für „The Witch“ zum Einsatz kam: Die „Apprehension Engine“. Korven hatte seinen Unmut darüber geäußert, dass digitale Samples oft gleich klingen und beauftragte Tony Duggan-Smith, einen Gitarren-Bauer, ihm ein Instrument herzustellen, welches „Horror-Sounds“ organisch erzeugen konnte. Die Form erinnert an ein Harmonium, eine Art kleine hölzerne indische Orgel, ausgestattet mit allen möglichen Kinkerlitzchen und Extras: Das Rad einer Hurdy-Gurdy, einige metallene Lineale, ein zur Spirale gedrehtes langes Eisenstück, ein paar Gitarrenhälse und noch einiges mehr. Der Spitzname dieses Geräts lautet „The Nightmare Machine“ und das trifft es ziemlich genau, denn die Geräusche, welche Korven auf dem Teil erzeugt, sind nicht von dieser Welt, sondern scheinen direkt aus unserem tiefsten Unterbewusstsein zu kommen, dort, wo die Alpträume lauern… oder aus der Hölle!

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Sieht harmlos aus, aber der Eindruck täuscht: Die „Apprehension Engine“.

Was aus dieser Kombination von echten Instrumenten und der Engine entsteht, ist so fremdartig, experimentell und harsch, dass man teilweise gar nicht weiß, was genau diese Sounds erzeugt oder wie man diese Art von Musik auf herkömmliche Weise besprechen soll. Also werde ich mich hier auf besondere Momente beschränken: Was in „Sonovabitch“ klingt wie Finger auf Glas-Rändern oder gestrichene Gongs, ist tatsächlich eines der Metall-Lineale, welches mit einem Nyckelharpa-Bogen gestrichen und in dessen Nähe auch ein Glas für den Hall-Effekt gehalten wird. Nach der Hälfte des Tracks kommt etwas zum Einsatz, was klingt wie antike Blasinstrumente, welche sich ein wenig wie Walgesänge anhören. Der Effekt ist so derart unterschwellig gruselig, dass es kaum auszuhalten ist, bis gegen Ende mehrere lautere Blechbläser-Stöße an „The Shining“ denken lassen und plötzlich abbrechen. In „Cistern / Old on Lens“ hören wir hohle Dröhner, was klingt wie Schiffshörner, gemischt mit dissonanten, leicht kratzenden tiefen Streichern. Bei 1:00 habe ich mich EXTREM erschrocken, da hier ein Ton zu hören ist, welcher wie der Atem eines uralten Tiefsee-Monsters klingt, ab der Hälfte dann kommen wieder heller wabernde, hallige Effekte zum Einsatz, welche wie ganz ferne, unheimliche Rufe klingen oder als würde jemand in eine rostige Gießkanne hineintuten.

Swab Dog Swab / Seagull / Winslow’s Story“ klingt mit dissonanten Dröhnern und leichtem Kratzen teilweise wie Joseph Bisharas „Conjuring“-Scores, in „Curse Your Name / Dirty Weather“ hören wir einige Mundharmonika- und später auch Akkordeon-Klänge, langgezogen und unschön, was irgendwann in schrill-luftige Flöten und sogar Stimmen-Effekte übergeht, wozu auch die hölzern-blechernen Dröhner zurückkehren. In „Murder / Mermaid / Heavy Labour“ werden hohe, stimmenartige Töne zu einer Art leisem Heulen, was von blutdürstigen Meereskreaturen zu kommen scheint, welche in der Tiefe kummervoll rufen. „Stranded“ erinnert wieder an Bishara mit dröhnender Dissonanz, schief zittrigen Streichern und später beinahe schon jaulenden „Shining“-artigen Blechbläsern. „Mermaid Lust / Stabbing the Charm“ bringt zum ersten Mal so etwas wie Dringlichkeit in die Musik, die Streicher sind etwas schneller und kräftiger, auch die Blechbläser steigern sich und lassen an Don Davis‘ „Matrix“-Scores denken. Hier packt Mark Korven tatsächlich die kakophonischen Töne aus und hinterlässt damit ordentlich Eindruck, auch mit den sich schief in die Höhe schraubenden Streichern am Schluss, welche in schrille Blechbläser übergehen und sich schließlich wie brechende Wellen überschlagen – und dann abrupt stoppen!

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Der Wahnsinn nimmt überhand…

Bei dem Titel „Why’d Ya Spill Yer Beans“ handelt es sich um das wahrscheinlich bekannteste Zitat aus dem Film, auch schon im Trailer ausführlich verwendet, und die Musik ist hier wieder etwas unterschwellig, die Holz-Bläser klingen wie ferne Walgesänge, bei 1:01 gibt es jedoch mehrere dröhnende Blechbläser-Stinger hintereinander, so laut und plötzlich, dass ich bei erstmaligem Anhören fast meinen Laptop von mir geschmissen hätte! In dieser Manier geht es dann weiter, gemischt mit schrill quietschenden und zittrigen Streichern, mit einigen Blech-Jaulern gegen Ende. In „Flithy Dog“ wechseln sich wabernde und dröhnende Blechbläser ab, gegen Ende kommt sogar leichtes Schlagzeug dazu, alles schwingt hin und her und gegen Ende hört man wieder hoch hallende Frauenstimmen, ziemlich deutlich diesmal, was an „The Witch“ erinnert, sehr klagend und gruselig.

The Light Belongs to Me“ bietet langgezogene, schiefe Flötentöne über schiefen Streichern (was beinahe klingt wie eine Signal-Pfeife auf hoher See), bevor wir bei 0:48 mehrere kleine Stinger hintereinander hören, mit Hörnern und leichten hölzernen Percussion-Elementen. „Into the Light“ bildet mit lang hallenden, gong-artigen Klängen den Abschluss, wozu sich nach und nach nahezu sphärisch hallende Stimmen mischen, langgezogen und beinahe erlösend, aber noch immer schwingen Bedrohung und Grusel mit, wie als würde etwas Atem holen vor dem großen Sprung, gegen Ende werden die Stimmen etwas deutlicher. Leider hat dieser Titel nicht den großartigen, garstigen Effekt wie „Witch’s Coven“, was in Korvens Vorgänger-Score einen grandiosen Abschluss darstellte. Zudem hätte der traditionelle Yaller Girls-Song „Doodle Let Me Go“ von A.L. Lloyd das Album noch schön abgerundet, aber leider findet sich das Lied, welches prominent im Trailer eingesetzt wurde und auch im Film vorkommt, nicht auf dem Soundtrack wieder.

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Das tolle Cover der Vinyl-Ausgabe.

Fazit:

Kann man einen Score wie „The Lighthouse“ guten Gewissens empfehlen? Das kommt ganz auf den Hörer selbst an: Die Musik ist reine Dissonanz, sie klingt rau und bohrend, sie dröhnt, kratzt und quietscht und gräbt sich immer weiter in unseren Verstand, will uns ängstigen und erschrecken – und was das angeht, so hat sie Erfolg! Dies ist kein zielloser Lärm, sondern besitzt Struktur und wurde offensichtlich mit viel Intelligenz und Verständnis für das Material entworfen und komponiert. Noch dazu vermag sie über den Film hinaus zu funktionieren: Selbst in der Behaglichkeit des eigenen Wohnzimmers verfehlt sie ihre Wirkung nicht und verbreitet eine Furcht, welche auch ohne die dazugehörigen Bilder unsere Herzen erfüllt – allerdings bezweifle ich, dass sie auf Nicht-Kenner des Films genau dieselbe Wirkung hätte. Vielmehr dient dieses Album dazu, sich die entsprechenden Momente des Films noch einmal ins Gedächtnis zu rufen und rein auditiv zu erleben. Ich habe das seit „Dunkirk“ nicht mehr getan, aber auch hier muss ich auf die herkömmliche Punktevergabe leider wieder verzichten. Im Kontext des Films erlangt die Musik einen Spitzenplatz, sie ist unverzichtbar für den Sog und die Atmosphäre, welche „The Lighthouse“ innewohnt – als reines Hörerlebnis ist sie für Analyse-Zwecke interessant und belohnend, denn es gibt wirklich zahlreiche famose Kniffe und Techniken zu entdecken. Aber dies ist kein Album, das man einfach so nebenbei, im Auto oder gar abends zur Entspannung hört. Wenn ihr jedoch mal wieder Freunde oder Familie so richtig erschrecken wollt, so greift zu den unten gelisteten Anspieltipps, denn diese Musik ist – und das meine ich wirklich positiv – der pure Horror!

Trackliste mit Längenangabe und Anspieltipps:

  1. Arrival – 1:49
  2. Sonovabitch – 3:32
  3. Cistern / Old on Lens – 2:41
  4. Swab Dog Swab / Seagull / Winslow’s Story – 3:22
  5. Curse Your Name / Dirty Weather – 3:48
  6. Murder / Mermaid / Heavy Labour – 2:38
  7. Stranded – 2:18
  8. The Sea King’s Fury – 2:59
  9. Mermaid Lust / Stabbing the Charm – 2:35
  10. Why’d Ya Spill Yer Beans? – 2:34
  11. Flithy Dog – 3:21
  12. The Light Belongs to Me – 1:13
  13. Into the Light – 3:32

4 Gedanken zu “The Lighthouse – Mark Korven

    1. Wie schon beschrieben: Erst Film gucken und dann erst Score hören würde sich besser eignen… aber auch für sich allein ist das echt ein spooky Trip. Kommt auf den Versuch an 😉. Danke fürs Kommentieren!

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